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Als die Regierungspräsidien plötzlich entbehrlich schienen
STUTTGART. Die Kreisreform von 1973 befasste sich nicht nur mit der Neugestaltung von Landkreisen. Sie legte auch die Regierungsbezirke als Auslaufmodell fest. Damals waren die Bezirke noch nach den Regionen benannt, also Nord- und Südbaden, Nordwürttemberg und Südwürttemberg-Hohenzollern. Die Behörden entstanden nach der Staatsgründung aus den alten Ministerien in Freiburg, Stuttgart und Tübingen sowie aus der Karlsruher Landesbezirksdirektion. 1955 im Landesverwaltungsgesetz verankert, schrieb der Gesetzgeber aber ein „vorläufig“ vor die Einteilung. Diesen Prüfvermerk griff die Ministerialverwaltung Ende der 60er-Jahre auf.
Im Denkmodell des Innenministeriums von 1969, Grunddokument für die Kreisreform, überlegten die Stuttgarter Bürokraten, was anstelle der Regierungspräsidien stehen könnte. Diese vereinen Aufsichtsfunktionen mit erstinstanzlicher Zuständigkeit. Die Entflechtung der Funktionen – Aufsicht zu den Ministerien, Verwaltungsaufgaben zu den unteren Behörden – lehnten die Autoren ab. Ebenso ein Landesverwaltungsamt, das alle Funktionen der Präsidien auf sich vereint – „Mammutbehörde“ lautete das Verdikt.
Der Südwesten wollte keine Sonderrolle übernehmen
Weil andere Bundesländer ebenfalls an der Mittelbehörde festhielten, sollte Baden-Württemberg keinen Sonderweg gehen. Ob es aber vier Präsidien sein mussten, da hatte das SPD-geführte Innenministerium Zweifel. Es schlug zwei Regierungsbezirke vor, die das Land in Nord-Süd-Richtung teilen sollten, um jeweils Anteile am bevölkerungsstarken Norden und dem dünner besiedelten Süden in einem Regierungsbezirk zu vereinen.
Das Denkmodell stieß wegen der Radikallösung von 25 Landkreisen in der Großen Koalition auf Widerstand. Die Landesregierung war sich dagegen in puncto Regierungspräsidien einig. Die SPD hatte deren Abschaffung bereits 1968 in die Koalitionsgespräche eingebracht, die CDU ließ sich darauf ein, die gemeinsame Begründung lautete: Mit den neuen Landkreisen entstünden derart leistungsfähige Landratsämter, dass sie Aufgaben der Präsidien übernehmen könnten.
Was die Kreisreform für den Südwesten bedeutet
Vor 50 Jahren trat die Kreisreform in Kraft. Aus ehemals 63 teils sehr kleinen Landkreisen wurden 35 neue Gebietskörperschaften. Die Große Koalition in Stuttgart zwischen SPD und CDU, sie bestand von 1968 bis 1972, hat das Projekt angeschoben. Die mit der Gebietsreform angedachte große Funktionalreform kam erst 2005 zustande.
In einer Serie befasst sich der Staatsanzeiger mit den Voraussetzungen, Wirkungen und der Geschichte der Kreisreform. In dieser Ausgabe geht es darum, wie die lange umstrittenen Regierungspräsidien die Reform überlebten. In der kommenden Folge geht es um die Regionen, die für die Einteilung der Kreise eine Rolle spielten.
Der Zungenschlag der Koalitionspartner war aber unterschiedlich, die SPD unterstrich die Vorteile durch die Abschaffung, die CDU ließ sich alle Türen offen.
Bei der Landtagsdebatte zum Kreisreformgesetz am 26. Juli 1971 betonte der SPD-Abgeordnete Heinz Bühringer aus Waiblingen die Bürgernähe, die mit der Verlagerung von RP-Aufgaben nach unten entstünde. CDU-Ministerpräsident Hans Filbinger hob dagegen hervor, dass noch genug Zeit sei bis zur 1977 vorgesehenen Abschaffung der Regierungspräsidien: „Dann kann die Regierung entsprechende Vorschläge an den nächsten Landtag machen, und damit ist sichergestellt, dass eine rechtzeitige Lösung bezüglich der Funktionsnachfolge möglich ist.“
Die stärkste Fürsprecherin war raus aus der Regierung
Die Wahlen am 23. April 1972 brachten für die CDU die absolute Mehrheit, die SPD war raus aus der Regierung – also die Partei, die sich für die Abschaffung der Regierungspräsidien stark machte. Die Diskussion in der CDU drehte sich da schon längst nur noch um die Einführung von kleinteiligeren Regionalämtern oder der Beibehaltung des Status quo, so schildert es der spätere Stuttgarter Regierungspräsident Manfred Bulling 1975. Rechtswissenschaft, Verwaltungspraktiker und Politiker plädierten für die Regierungspräsidien. Anstelle dieser strich die Regierung Ende 1975 daher jenen Paragrafen, der das Ende der Präsidien forderte.
Ganz ungeschoren kamen die Regierungspräsidien aber nicht aus dem Reformprozess heraus. Die Abteilungen aller vier Behörden wurden an den Ressortplan der Landesregierung angepasst und vereinheitlicht. Die Regierungsbezirke wurden außerdem auf Basis der neuen Kreisgrenzen zugeschnitten. Bevölkerungszahl und Landverteilung waren so einigermaßen ausgeglichen verteilt. Auf die alten Regionalnamen mussten die Behörden indes verzichten, bis heute heißen sie nach ihrem Sitz. Der Grund: Der neue Zuschnitt verwischte die alten Landesgrenzen Badens und Württembergs.