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50 Jahre Kreisreform

Baden-Badens Status hing am seidenen Faden

Die Kreisreform vor 50 Jahren hat die Zahl der Landkreise ordentlich reduziert – von 63 auf 35. Dagegen scheinen die Schwestern der Kreise, die kreisfreien Städte, vom Reformsog überhaupt nicht erfasst worden zu sein: Vor der Reform hatte das Land neun Stadtkreise, nach der Reform ebenfalls. Doch dazwischen ist Einiges passiert.

Arnulf Klett (Mitte), OB von Stuttgart, hielt wenig von Eingemeindungen kleinerer Gemeinden in die Stadtkreise.

dpa/ Adolf Castagne)

STUTTGART. Neun kreisfreie Städte in Baden-Württemberg? Das sind zu viele, meinte das SPD-geführte Innenministerium des Landes und stellte sie alle 1969 in seinem Denkmodell, dem Ausgangspunkt für die Kreisreform, auf den Prüfstand.

Die Maßstäbe waren dieselben wie bei den Kreisen: leistungsfähige Verwaltung, Einheitlichkeit, Bürgernähe, Vernetzung ins Umland. Die Einrichtungen der Daseinsvorsorge sollten ausreichend vielen Bürgern zugutekommen – mindestens 100 000 Menschen. Nach diesen Vorgaben fielen vier von neun Städten durchs Reformsieb.

Heilbronn, Ulm und Pforzheim, Kommunen mit 89 000 bis 97 000 Einwohnern, sahen die Experten des Innenministeriums so eng mit dem Umland verzahnt, dass sie eine Zukunft als eigenständiger Stadtkreis ablehnten. Die Kreisaufgaben ließen sich viel besser im Schulterschluss mit dem Umland lösen, das fördere die Entwicklung der Raumschaft, so die Überzeugung.

Ministerium fällt harsches Urteil über die Kurstadt

Für Baden-Baden, mit damals nicht mal 39 000 Einwohnern die kleinste kreisfreie Stadt, fiel das Urteil harsch aus: „Dieser Stadtkreis ist nur aus der geschichtlichen Entwicklung erklärbar.“ Die Stadt wurde 1939 von den Nazis zum Stadtkreis erhoben und war nach dem Krieg Hauptquartier der französischen Besatzungsmacht. Größere und bedeutendere Städte seien andernorts dagegen bloß als Kreisstädte integriert.

Daher bevorzugten die Autoren des Denkmodells in einem mittelbadischen Kreiskonstrukt auch das besser erreichbare Rastatt als Sitz des Landratsamts und nicht die Kurstadt am Fuße des Schwarzwalds.
Um den Bestand der Landkreise und kreisfreien Städte rangen die Partner der Großen Koalition. Schließlich einigten sich CDU und SPD auf acht Stadtkreise – neben Heilbronn, Pforzheim und Ulm waren das Freiburg, Karlsruhe, Mannheim, Heidelberg und Stuttgart.

Das zumindest war Ende Juli 1971 der Stand vor der dritten und entscheidenden Lesung des „Ersten Gesetzes zur Verwaltungsreform (Kreisreformgesetz)“. Baden-Baden stand nicht auf der Liste. Das hatten die Kurstädter selbstverständlich mitbekommen, und sie kämpften. 13 000 Menschen sollen bei einem Fackelzug gegen die Reform auf der Straße gewesen sein.

Was die Kreisreform für den Südwesten bedeutet

Vor 50 Jahren trat die Kreisreform in Kraft. Aus ehemals 63 teils sehr kleinen Landkreisen wurden 35 neue Gebietskörperschaften. Die Große Koalition in Stuttgart zwischen SPD und CDU, sie bestand von 1968 bis 1972, hat das Projekt angeschoben. Die mit der Gebietsreform angedachte große Funktionalreform kam erst 2005 zustande.
In einer Serie befasst sich der Staatsanzeiger mit den Voraussetzungen, Wirkungen und der Geschichte der Kreisreform. In dieser Ausgabe beleuchten wir das politische Schicksal der kreisfreien Städte. In der kommenden Folge geht es darum, wie die lange umstrittenen Regierungspräsidien die Reform überlebten.

Die Stadtverwaltung erstellte unter ihrem damaligen Oberbürgermeister Walter Carlein (CDU) ein Gutachten, nach dem die kleine, aber international ausgerichtete Kurstadt eine Infrastruktur vorhalte, die einer Kommune von mindestens 125 000 Bürgern würdig sei. Eine Unterschriftensammlung unterstrich den Anspruch.

Das politische Stuttgart zeigte sich hinreichend überzeugt – wobei die Bruchlinie quer durch die Regierungskoalition ging. Im letzten Moment setzte die parlamentarische Mehrheit Baden-Baden aber wieder auf die Liste der Stadtkreise.

Dabei hat die Bäderstadt ab 1972 ordentlich an Bevölkerung zugelegt. Sechs Dörfer kamen durch die Gemeindereform unter ihre Fittiche, mit anderen Worten: plus 14 000 Einwohner. Auch andere Stadtkreise segelten auf Zuwachskurs. Karlsruhe bekam durch sieben Eingemeindungen rund 28 000 Neubürger, Freiburg wuchs dank acht Orten um rund 12 000 Bürger an.

Bis zum Jahr 1975 dauerte der Neuzuschnitt an, zu diesem Zeitpunkt war die Kreisreform eigentlich längst abgeschlossen. Dennoch waren in der Schlussphase der Gemeindereform auch die jeweiligen Kreisgrenzen noch nicht in Beton gegossen.

Keine Lust auf Zwist mit den Nachbarbürgermeistern

Allerdings wirkten nicht alle Städte auf das Umland so anziehend. Die zwei größten Städte des Landes, Mannheim und Stuttgart, blieben während der Reform unverändert. Das lag wohl auch am Missvergnügen, mit dem Oberbürgermeister der Metropolen auf die Frage reagierten, welche Umlandgemeinden sie denn gerne eingemeinden würden.

Stuttgarts Oberbürgermeister Arnulf Klett (CDU), so berichtet es der damalige Leiter der Kommunalabteilung im Innenministerium, Karl Römer, weigerte sich bei einer Besprechung zu sagen, welche Nachbarstadt er eingemeinden würde: „Ich will mit meinen Umlandbürgermeistern in Frieden leben.“

Damit war eine Neustrukturierung des Großraums Stuttgart vom Tisch. Trotzdem blieben seither Stuttgart und lange Zeit auch Mannheim die größten Stadtkreise des Landes.

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