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Aus fünf mach‘ eins – wie der Kreis Sigmaringen entstand
SIGMARINGEN. Als dritter Partner Teil von etwas Neuem mit Württemberg und Baden zu sein, das war in Hohenzollern schon 1952 mehrheitsfähig, erklärt Sigmaringens Kreisarchivar Edwin Weber. Die ehemals preußische Exklave war seit 1947 Teil Württemberg-Hohenzollerns. „Die hohenzollerische Bevölkerung stand dem Südweststaat offen gegenüber. Wichtig war nur, dass Hohenzollern nicht von Württemberg geschluckt wurde.“ Diese Animosität sei historisch gewachsen, befeuert von der Sorge vor dem übermächtigen und obendrein evangelischen Nachbarn.
Bei der Kreisreform spielte die landsmannschaftliche Herkunft also eine geringe Rolle. Wenig Bedeutung erlangte auch, dass der alte Kreis Sigmaringen Kommunen an benachbarte Kreise abgab, teils mit, teils gegen den Willen der Bevölkerung. „Viel wichtiger war, dass Sigmaringen auch in einem neuen Kreis Sitz des Landratsamtes bleibt“, sagt Weber. Dafür standen die Zeichen gut. Gutachten zur Reform wiesen Sigmaringen den Kreissitz wegen der Verkehrsanbindung oder als Ex-Hauptstadt Hohenzollerns zu.
Saulgau wollte nicht zu Sigmaringen – zunächst
Anders reagierten die Kreise Saulgau, Stockach, Überlingen und Reutlingen, die Orte nach Sigmaringen abgeben sollten. Besonders Saulgau wehrte sich, zeitweise mit Erfolg. Der damalige Landrat Wilfried Steuer warb für eine Fusion seines mit dem Nachbarkreis Biberach. Das spiegelte sich 1970 im Votum der für die Verwaltungsreform zuständigen Kommissionen wider, die Saulgau keinesfalls Sigmaringen zuschlagen wollten. Doch plötzlich, so schreibt es Steuer in einem Aufsatz, wollte die Stadt Saulgau doch zum Kreis Sigmaringen. Kreisarchivar Weber hat eine Erklärung: Das kleine Saulgau hätte neben dem wirtschaftlich potenten Biberach eine randständige Rolle gespielt. Im damals strukturschwachen Kreis Sigmaringen mit seiner noch kleineren Kreisstadt konnte Saulgau seine Bedeutung aber wahren. Ähnlich mochten Vertreter in Pfullendorf gedacht haben, wo die Entscheidung anstand, ob es zum Bodenseekreis mit dem beherrschenden Friedrichshafen geht oder doch nach Sigmaringen.
Doch so rational liefen die Zuordnungsprozesse nicht immer ab. Beuron sollte wie die damalige Schwestergemeinde Bärenthal nach Tuttlingen abwandern, was im Landtag umstritten war. Während im ersten Gesetzentwurf zur Kreisreform die Klostergemeinde an den Kreis Tuttlingen fallen sollte, schob der Sonderausschuss des Parlaments das Dorf wieder Sigmaringen zu, was während der Beratung zu Diskussionen darüber führte: Sollte der Ort im hohenzollerischen Kontext bleiben oder sei der Verwaltungsstruktur nachzugeben, wo es doch einen gemeinsamen Bürgermeister mit Bärenthal gab und die Schulversorgung nach Tuttlingen ausgerichtet war.
Was die Kreisreform für den Südwesten bedeutet
Vor 50 Jahren trat die Kreisreform in Kraft. Aus ehemals 63 teils sehr kleinen Landkreisen wurden 35 neue Gebietskörperschaften. Die Große Koalition in Stuttgart zwischen SPD und CDU, sie bestand von 1968 bis 1972, hat das Projekt angeschoben. Die mit der Gebietsreform angedachte große Funktionalreform kam erst 2005 zustande.
In einer Serie befasst sich der Staatsanzeiger mit den Voraussetzungen, Wirkungen und der Geschichte der Kreisreform. In dieser Ausgabe beleuchten wir die wechselvolle Geschichte, die zur Bildung des Landskreises Sigmaringen führte, in dem die alten Länder Hohenzollern, Württemberg und Baden aufeinanderstoßen.
Am Ende setzte sich die Tradition, die enge Beziehung zwischen Kloster und Sigmaringer Fürstenhaus sowie die Konfession durch – im ganzen Kreis Sigmaringen war man katholisch, Tuttlingen war evangelisch. Kreisarchivar Weber zitiert den Sigmaringer Alt-Landrat Max Gögler, nach dem es den Kreisräten Sigmaringens unzumutbar gewesen wäre, für die Osterbeichte in der Erzabtei die Kreisgrenze zu passieren. Der Landtag ließ Beuron bei Sigmaringen.
Die Hohenzollern spielten auch beim Kreiswappen eine Rolle. Nach der Reform stritten die Kreisräte darüber, ob unter dem grafschaftlichen Hirschen das Schwarz-Weiß-Karo des Fürstenhauses stehen sollte. Immerhin besteht der Kreis etwa zur Hälfte aus badischen und württembergischen Gebieten. Nach Jahren der Diskussion einigte man sich auf weiß-rote Streifen: Ein Hinweis auf Vorderösterreich, das einst Teile des Kreises prägte. Der Kreisname stand nie zur Debatte. „Es war immer klar, dass es die hohenzollerische Hauptstadt sein sollte“, sagt Weber. Heute spielen Fragen, wo die alten Landesgrenzen verliefen, kaum noch eine Rolle: „Leute unter 35 wissen heute kaum mehr, zu welchem Landesteil ihr Wohnort gehörte“, sagt Weber.
Preußische Besonderheit verschwand 1973
Mit der Kreisreform ging übrigens das letzte Überbleibsel des Preußentums im Südwesten unter: Der Landeskommunalverband der Hohenzollerischen Lande. Dort entschied ein Kommunallandtag über wesentliche Verwaltungsfragen – die Spezialität des im Deutschen Reich weit verstreuten Preußen hatte die Gründung Württemberg-Hohenzollerns und Baden-Württembergs überlebt. Erst das Kreisreformgesetz verteilte die Aufgaben an sonst zuständige Behörden, der Paragraf 29 setzte den Schlussstrich unter Hohenzollern.