Themen des Artikels
Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen
Inmitten der Fachwerkidylle: Das Unterensinger Rathaus erinnert an eine Eisscholle
Unterensingen. Wie reagieren die Bürger auf so einen modernen Bau? Manchen könnte das Gebäude als Fremdkörper erscheinen, anderen als kreative Reibungsfläche. Zu den letzteren gehört Bürgermeister Sieghart Friz . Der Christdemokrat war seit seinem Amtsantritt im Jahr 1994 mit Diskussionen und Konzepten zur Rathaussituation in seinem Ort befasst. Allerdings sei es so gekommen wie an vielen anderen Orten auch: „Das Rathaus kommt immer zuletzt.“
Konkret bedeutete das für den Fachwerkbau aus dem 16. Jahrhundert, der unmittelbar neben dem Kirchhof an einem Hang zum Neckar hin steht, einen Sanierungsstau. Seit 1977 wurde in dem alten Rathaus nichts mehr renoviert. Die Mitarbeiter saßen im Winter mit gefütterten Schuhen in den beengten Räumen, im Sommer schwitzten sie über den Dokumenten. Abhilfe wurde nicht geschaffen, stets in der Erwartung, dass ein neues Rathaus gebaut werden sollte. „Bei so einem Arbeitsplatz könnten Sie heutzutage kein Personal mehr rekrutieren“, sagt Friz.
Der Bau passt sich an das Gelände an
Doch die Diskussionen um das Rathaus zogen sich. Einerseits stand die Priorität gegen den Neubau, Kindertagesstätte und Flüchtlingsunterkünfte erschöpften die Kassen der kleinen Gemeinde. Außerdem war unklar, wo es überhaupt entstehen soll. Ist das leer stehende Bürogebäude im Gewerbegebiet das Richtige oder doch ein Neubau im Schatten der Michaelskirche? War da nicht noch auf der anderen Straßenseite ein Grundstück der Evangelischen Landeskirche, das sich für so einen Neubau auch eignete? Am Ende entschied sich der Gemeinderat für die Ortsmitte, direkt neben dem alten Rathaus, der Beschluss fiel 2019.
Bei einer beschränkten Ausschreibung fand die Kommune ein in Rathausbauten erfahrenes Tübinger Architektenbüro. Die Planer überzeugten mit einem Haus, das in ihren Worten an einen Kristall erinnere und mit dem sechs Ecken die Tücken der Hanglage sowie der gebogenen Kirchstraße meistere. Zwei Satteldächer in unterschiedlicher Höhe und Breite der Dachflächen verlaufen parallel zum Hang, eines höher, ein anderes tiefer. Damit passt sich der Bau an das Gelände an.
Die unregelmäßigen Hauswände schneiden die Dachflächen schräg an – das Gebäude erinnert so an einen Kristall oder an eine Eisscholle. Eine gewohnte Hausansicht ohne Winkel in der Fassade bietet der Bau nur von der Hangseite, wo der Eingang ist. Aber selbst da gibt es optische Spielereien, alle Fenster sitzen in Faschen, bei denen nicht ganz klar ist, ob sie nach außen oder innen ragen.
Die Klimaanlage wird mit Geothermie gespeist
Im Haus mit seinen 934 Quadratmetern Nutzfläche, sind das Weiß der Wände und die Holztöne des Parketts in Balance. Das Treppenhaus bildet den Kern des Gebäudes, von Dachfenstern erhellt. Dieser Raum, der die drei Geschosse durchzieht, spiegelt die Winkel der Außenwände wider. An das verwinkelte Treppenhaus schließen sich daher Büros an, deren Grundriss meist die üblichen rechten Winkel aufweist.
Seit dem Umzug im Dezember 2023 ist auch das Bürgerbüro wieder von einem Supermarkt ins Rathaus zurückgekehrt. Angesichts der vielen Teilzeitbeschäftigten ist das Haus mit den rund 20 Arbeitsplätzen schon gut belegt. Doppelt genutzte Arbeitsplätze schließt Friz im neuen Rathaus daher nicht aus.
Selbst an heißen Tagen sorgt die mit Geothermie gespeiste Klimaanlage für ein kühles Ambiente. Die Sonden reichen laut Friz bis in 75 Meter Tiefe. Die Dämmung und die Fußbodenheizung halten das Raumklima auf arbeitsfreundliche Temperaturen. Die Decken sind gelocht: Gestaltung und Lärmreduzierung zugleich. Auf der Talseite befindet sich die Einfahrt zur Tiefgarage, wo zehn Autos Platz finden, E-Fahrzeuge aufgeladen und Fahrräder abgestellt werden können. Damit die Mitarbeiter sicher einen Parkplatz finden, habe sich der Gemeinderat gegen eine Belegung durch Dauerparker entschieden, so der Bürgermeister.
Fachwerk-Bau wird seit 1558 von der Gemeinde genutzt
Zwar gibt es ein Besprechungszimmer, einen Ratssaal sucht man im neuen Gebäude aber vergeblich: Der entsteht gerade im benachbarten Fachwerk-Rathaus, seit 1558 von der Gemeinde genutzt. Dort künden Gerüste und Bauzäune von der Generalsanierung. Der Ratssaal wird dort vom Dach- runter ins erste Obergeschoss verlegt. Im Erdgeschoss entsteht ein Trauzimmer – nein, eher ein Trausaal, wie Friz betont. Dieser Raum soll auch Vereinen zur Verfügung stehen, so die Idee des Bürgermeisters.
Zwischen den beiden Gebäuden gibt es einen Platz, auf dem sich Brautpaare hochleben lassen können, das Dorf sich versammeln oder Bürger von der Terrasse aus den Blick den Hang hinab über den nahen Friedhof schweifen lassen können.
Die Kosten für diesen Ortsmittelpunkt belaufen sich für das neue Verwaltungszentrum auf 5,1 Millionen, 4,7 Millionen blieben an der Gemeinde hängen. Das alte Rathaus kostet um die 2,5 Millionen Euro, wofür es etwa die Hälfte aus dem Landessanierungsprogramm gibt. Dafür hat Unterensingen nun einen Bau, an dem sich die Bürger nicht erst seit der Eröffnung im Mai 2023 reiben können, so Friz. Egal wie sie dazu stehen, sie machen das es so zu einem neuen Identifikationspunkt.